***** Erst gegen Schluss habe ich gemerkt, was mit dem Titel "Schweigeminute" gemeint ist: Christian, der sich in seine Englischlehrerin verliebt hat, kann anlässlich ihrer Gedenkstunde (sie ist nach einem Unfall gestorben) nichts sagen, weil sonst zu viel Unausgesprochenes erläutert werden müsste. So bleibt ihre Liebesgeschichte zwischen Realität, Wunschtraum und Zukunftsperspektive hängen. Vielleicht ist es ganz gut, dass die beiden die gemeinsame Zukunft nicht planen mussten und so auch den Alltag nicht erlebten. Gut gefallen haben mir die zarten Begegnungen zwischen Stella (der Lehrerin) und Christian, z. B. am Strand oder auf dem Kopfkissen. Da wird nicht zu viel verraten, aber als Leser spürt man, was "läuft". Irritiert haben mich die dauernden Wechsel in der Anrede: Einmal nennt er sie Stella (oder "du") und kurz darauf spricht er sie mit "Sie" an. Ebenfalls sparen können hätte Lenz mit den vielen Schilderungen auf den Booten. Natürlich spielt die Geschichte an der Ostsee, aber eigentlich geht es ja um die (verbotene? gefährliche? geheime? zukunftslose?) Liebe zwischen einer Lehrerin und ihrem Schüler.
Fazit: Für mich ist dieses neueste Werk von Siegfried Lenz eine kleine, feine Liebesgeschichte (eine Novelle eben) mit Tiefgang. 5++ |