***** Kaum zu glauben, dass es im 20. Jahrhundert noch Dichter gab, die es fertig brachten, Poesie so zum Klingen zu bringen wie Max Frisch in dieser kurzen Prosa-Arbeit, so dass ich nicht umhin kann ins Schwärmen zu geraten. "... und wieder hinunterschaue auf die blinkenden Dächer von Peking, die Türme, die uralten, die Menschlein in ihren gelben und flachen Hüten, Wasserträger, die in den wirren Gassen umherstehen und schwatzen, ihr tägliches Joch auf den Schultern, dahinter die Buchten mit kräuselndem Silber, mit Brücken und Segeln, mit blühendem Lotos, mit blauen Vögeln darüber, die kreisen..." Wunderbar! Da passt jedes einzelne Wort. Aber seine Poesie erschöpft sich keineswegs nur in Postkartenidyllen. Zwar schwingt die Stimmung durch das ganze Buch, einer Sehnsucht Ausdruck verleihend, die schwer im Magen drückt. Da wird Gegenwart zu Erinnerung, Erfahrung zu Traumweisheit. Ja, ein Traum könnte nicht durchsichtiger und verhüllter sein als dieser Text von Max Frisch. Der chinesische Alltag wird nicht noch nicht einmal mehr Kulisse, seine Bilder sind durchsetzt mit Phantasie. Wehmütige Erinnerung sind erschütternde Zeugen der Vergänglichkeit, Tempelruinen sind es die an eine blühende Kultur erinnern und dehalb so mühsam restauriert werden müssen, Tempelruinen, die vielleicht wertvoller sind als die schönsten Bauten der chinesischen Gegenwart. Dazwischen scheinbare Binsenweisheiten: "Einmal sagte ich zu Bin: 'Unser Leben ist kurz.' und 'Oder ist es nicht so?', fragte ich, 'alle möchten geschätzt sein' und 'Die Zeit ist ein sonderbar Ding', sagte ich einmal, 'es gibt sie und gibt sie auch wieder nicht..., ja - und doch sind wir alle, das ist der Wahnsinn, Sklaven der Zeit' oder "Die Sehnsucht ist unser bestes - ..." Und doch gibt der Zusammenhang selbst solch scheinbar abgedroschenen Phrasen eine stimmungsvolle Zugkraft, dass man meint, man würde ihren Sinn zum ersten Mal wirklich begreifen. Und schließlich Bin, dieser rätselhafte Geist, der uns nach Peking führt, zumeist mit den Worten "Gehen wir?", der uns einlädt zur Reise nach rückwärts und vorwärts zugleich, rückwärts in die Erinnerungen und vorwärts in die Sehnsucht, die Sehnsucht nach einem Paradies, das wir zwar nie erreichen und doch auch niemals aufgeben werden. "... ich glaube wirklich, es fehlt uns nur am lieben Gott." |