****** Diesen Roman habe ich jetzt in wenigen Tagen durchgelesen, wobei ich ihn ganz bewusst in fünf „Tagesrationen“ eingeteilt habe, um ihn nicht zu schnell zu verschlingen. Er hat in mir nämlich einen Lesehunger geweckt, wie es seit langem schon kaum ein Buch mehr geschafft hatte und bei dem ich mich mehrfach disziplinieren musste, um meinen Vorsatz nicht über Bord zu werfen.
Zwei Aspekte sind hier meines Erachtens ganz besonders hinreißend: Die Coming-of-Age-Geschichte rund um die Protagonistin Kya, in deren universelle Einsamkeit ich mich herausragend gut einfühlen konnte. Noch eindrücklicher sind aber Owens‘ Fähigkeiten, die Natur des Marschlandes in sprachliche Bilder zu fassen, die gleichermaßen poetisch und doch total greifbar erscheinen. Ich bin gemeinhin alles andere als ein Freund von langen Landschaftsbeschreibungen und überlese sie auch häufig gelangweilt, aber hier habe ich mich komplett in diese Landschaft hineinversetzt gefühlt und oft den Eindruck gehabt, wirklich eins mit der Natur zu werden.
Der Roman ist über weite Strecken in einer sehr leicht verständlichen Sprache geschrieben, womit er sich ziemlich flüssig runterlesen lässt (und bei der Kritikerzunft natürlich ein verächtliches Naserümpfen ob seiner „Einfachheit“ nahelegt). Da Kya während der knapp 20 Jahre erzählter Zeit zwei Jungen Männern doch etwas näher kommt, enthält die Geschichte auch Spuren einer Romanze - was größtenteils gefühlvoll und intelligent geschildert wird, in einigen Momenten aber auch ein wenig kitschig wird. Und auch im Crime-Segment lässt sich das Buch streckenweise verorten, schließlich wird Kya ein Mord zur Last gelegt. In den Passagen, in denen es vorwiegend um die Kriminalgeschichte geht, weist das Werk seine meines Erachtens schwächsten Momente auf - ein guter, sonderlich gewiefter Krimi ist das hier meines Erachtens nicht.
Alles in allem ist „Der Gesang der Flusskrebse“ für mich dennoch ein wunderschönes Buch, das ich förmlich verschlungen habe, in dessen Protagonistin ich mich schockverlieben konnte und dessen Naturbeschreibungen eine kaum in Worte zu fassende Schönheit haben. Dass der Kriminalfall im Vergleich dazu eher nett und etwas vorhersehbar runtererzählt wird und Kyas Liebesspiel auch manchmal etwas dick aufgetragen erscheint, verzeihe ich einem solchen Buch dann gerne und ohne nennenswerte Abschläge. Ich habe es seit Jahren nicht mehr erlebt, dass ich Unterhaltung und Poesie insgesamt so stimmig in einem Buch vereint fand wie hier. Toller Debütroman der leider schon über 70 Jahre alten Zoologin Delia Owens.
PS: Ich bin gespannt, ob die in Kürze erscheinende Verfilmung in der Lage sein wird, die Schönheit des Marschlandes so traumhaft in Szene zu setzen, wie es dem Roman gelang. Damit dürfte der Film stehen und fallen.
Knappe Höchstwertung. |